990 Wiener Apfelgeheimnis
Schwer ist es, das Handwerk des Apfelstrudel – Backens! Man vergesse die Rezepte, die es in den Untiefen des Internets zu begaffen gibt: mehr Bild als Text, mehr Lifestyle als sinnvolle Belehrung. Meist Fake. Ob das derart Bebilderte verlässlich ist, bleibt immer fraglich.
Ich bin froh über das Standardwerk der Küche, das schon meine Grossmutter benutzt hat: ihre Erfahrung. Wie meinte sie immer wieder: Es gehe um den Apfel und vor allem um den Teig und um das schöne Stück Butter! Dann hantierte sie mit einem kleinen Fläschchen Rum. Zum Abschmecken natürlich. Rezepte hatte sie keine, nur ihr “Gefühl” für Mengen.
Nachmachen war die Lernmethode, unter dem gestrengen Blick der Gütigen.
Hier einige Prinzipien:
Zunächst: Guter Apfelstrudel ist ungesund nach den Kategorien des Lifestyles und des ewigen Lebens, das man anstrebt. Hände weg, ihr schönen, gesunden Menschen!
Dann: Es sind nur gewisse Äpfel, die taugen. Entweder die Sorte, die im Jahreszklus als erste oder jene, die recht spät reif werden. Ja genau, diese beiden (säuerlichen) Apfelsorten! Was wiederum bedeutet: wirklich guten Apfelstrudel kann man/frau nicht das ganze Jahr über backen oder essen.
Weiter: Der Teig. Selbstgemachter Strudelteig gelingt nur den Erfahrenen. Das Ölbad ist nicht zwingend, das Ei allerdings verboten. Und über den Tisch gezogen muss er auch noch werden, ohne zu reissen. Die darunter liegende Zeitung muss man lesen können, dann ist er richtig dünn. Gleichmässig rollen, natürlich!
Fast schon Endspurt: Butter, ja viel Butter muss es sein. Fürs Bräunen der Semmelbrösel, für das Bestreichen des Teiges, das Ausfetten des Backbleches und das zärtliche Finish, wenn der Strudel fertig gebacken ist.
Einwurf: Ein wenig Rum, ja; ein wenig Zimt, ja – aber beide bitte in Massen. Vorschmecken dürfen beide nicht.
Und dann die richtigen Menschen finden, die verstehen, dass dazu auf KEINEN Fall Vaillesauce gegessen werden darf. Und dass Rosinen drinnen sein müssen. Dass man guten Kaffee dazu trinkt. Und dass man das zweite Stück NIEMALS verweigern darf.
Das hat nichts zu tun mit Lokalkolorit sondern mit Können. Aus Zeiten, als das gute Leben noch Geniessen hiess. Backen können, geniessen können, Zeit haben. Savoir Vivre!